im Shiatsu ist immer wieder die Rede von der Absichtslosigkeit. Doch was bedeutet das eigentlich?

Wir lassen uns schnell von diesem Begriff einladen in die Idee der Ziellosigkeit. Doch nichts liegt diesem Begriff ferner. Schauen wir uns das in der Praxis an.

Klienten kommen immer mit einem Anliegen zu uns. Sie wollen ein Symptom loswerden, sie wollen innere Ruhe finden oder Kraft schöpfen – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Sie haben also eine Absicht, ein höheres Ziel.

Wir als ShiatsupraktikerInnen haben auch ein Anliegen. Wir wollen den Menschen helfen, sie bestmöglich begleiten und auf sanftem Wege zu ihren Ressourcen führen. Wir wollen sie unterstützen, ihre Kräfte zu mobilisieren, um mit sich in einen Gesundungsprozess zu kommen – um auch hier ein paar Beispiele zu nennen. Wir haben also ebenfalls eine Absicht und diese ist abhängig von unserem Selbstverständnis als ShiatsupraktikerIn.

Es begegnen sich also zwei Menschen mit einer Absicht. Wir könnten uns gar nicht begegnen, hätten wir keine Absicht.
Wo findet nun Absichtslosigkeit statt?

Es ist eine Besonderheit des Shiatsus, dass im Kontakt, also während der Behandlung kein absichtsvolles Handeln stattfindet. Wir wissen nicht, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist, dass sich die Schmerzen unserer Klientin auflösen. Wir lassen uns ein auf die Begegnung, gehen in achtsames Lauschen und emphatisches Beobachten. Es gibt keine Diagnose, auf deren Grundlage wir ein bestimmtes Muster drücken und bearbeiten, wie das vielleicht bei der Akupunktur stattfindet. Die Behandlung selbst ist die „Diagnose“. Es ist ein Beobachten. Es findet ein Dialog statt, der von beiden Partnern gleichermaßen gestaltet wird. So entsteht Raum für Veränderung und Erkenntnis.

Doch all das kann nur in Absichtslosigkeit geschehen. Wenn Du versuchst, einem Kind das Essen mit Messer und Gabel beizubringen, in dem Du Dir jeden Schritt auf diesem Lernprozess überlegst und dann entsprechend handelst und dem Kind genaue Vorgaben machst, wird es Dir kaum gelingen. Es braucht Raum zum selbst Entdecken. Und diesen Raum können wir nicht absichtsvoll abgrenzen. Er muss sich entfalten dürfen.

In der Shiatsuberührung gehe ich in Kontakt. Es ist mehr Spüren als Behandeln. Die Kraft, die ich spüre lädt mich ein, darauf zu reagieren.
Ich denke also nicht
„Oh, dass ist aber sehr schwach hier. Da sollte ich mal eine gute Ladung Energie hinschieben“
oder
„Ach, die Schulter lässt sich ja kaum noch bewegen. Wenn ich jetzt eine große Dehnung nach oben mache, dann ist es bestimmt besser.“

Ich nehme die Schwäche wahr und lasse mich von ihr führen. In jedem Phänomen steckt ein Sinn und eine Bewegung. Doch es geht nicht darum, dass ich das genau weiß, sondern dass ich mich führen lasse.
Auch von der eingeschränkten Schulter lasse ich mich führen und begebe mich mit meiner Partnerin auf die Entdeckungsreise der Möglichkeiten. So machen wir beide Entdeckungen, die uns weiterbringen.

Nach einer guten Shiatsubehandlung fühlt man sich anders als vorher. Oft haben sich Symptome zum Positiven verändert und es sind Türen aufgegangen auf dem Weg ins Licht. Dies geschieht nicht, wenn wir jeden Schritt vorweg planen und absichtsvoll handeln. Daher lässt sich auch schwer sagen, was man bei bestimmten Symptomatiken mit Shiatsu tun soll. Es gibt keine allgemein gültigen Antworten.

Betrachten wir Shiatsu als einen Dialog, der ohne Absicht von zwei Menschen gestaltet wird und in dem vieles geschehen darf, von dem wir vorher keine Ahnung haben, wird schnell klar, dass hier etwas Großes und Wesentliches geschehen kann.