Ich bin kein Freund von ausgeklügelten Shiatsudefinitionen und es ist eine wahrscheinlich lebensbegleitende Aufgabe für Shiatsupraktiker, diese so oft gestellte Frage nach dem ‚Was ist das eigentlich?‘ zu beantworten oder im besten Fall geschickt zu umschiffen. Ganz ähnlich geht es mir, wenn ich nach dem letzten Urlaub gefragt werde. Ich kann beschreiben, was ich gemacht habe und wo ich war, aber was ich tatsächlich erlebt habe, kann ich meinem Gegenüber selten vermitteln. Es bleibt unbefriedigend.

Als ich 2004 meine Shiatsuausbildung am Europäischen Shiatsu Institut in Münster begann, habe ich zuvor weder davon gehört noch jemals eine Behandlung bekommen. Eine ganze Kette an wenig nachvollziehbaren Zufällen führte mich jedoch zu einem Abend in der Berliner Schule für Zen-Shiatsu. Es war ein Infoabend für eine Shiatsuausbildung. Auch nach diesem Abend wusste ich nicht annähernd, was Shiatsu wirklich ist. Doch ich habe eine Berührung gespürt, die mich neugierig gemacht hat. So neugierig, dass ich mehr davon wollte. Es gab etwas zu entdecken, was jenseits meiner bisherigen Erfahrungen lag und es war irgendwie wesentlich.

Da war auf einmal Nähe zu mir und zu anderen, die mich, ohne irgendwie schräg oder merkwürdig zu sein, tief berührt hat. Da waren Berührungen, die mich meinen Körper auf eine ganz besondere Art haben spüren lassen. Es war ein bisschen magisch, fast schon mysteriös, dachte ich. Es wurde natürlich auch viel gesprochen und erklärt, doch diese ganzen Erklärungen mit Energie, Meridianen, Akupunktur, Yin Yang und japanisch und so haben mir wenig geholfen, das Ganze auf die Schnelle zu verstehen. Aber das war auf einmal auch nicht mehr wichtig.

Jetzt kann ich über dieses Medium keine Erfahrungen bieten, sondern bin relativ reduziert auf Wort und Bild. Und ich sehe mich einem neugierigen Leser gegenüber, der wissen und verstehen will.

Die viel zitierten Definitionen von Wikipedia und dem Shiatsu Berufsverband (GSD) helfen nur geringfügig weiter. Man erfährt, das Shiatsu aus Japan kommt, eine individuelle, energetische Körperarbeit ist und die Selbstregulierungskräfte des Menschen anregt. Doch das ist abstrakt und verglichen mit dem real erlebten Shiatsu relativ langweilig.

Also nehme ich nochmal einen Anlauf:

Es gibt einen Behandler und eine/n Behandelte/n, also ist eine Behandlungsform. Manche nennen es Therapie, manche Berührungskunst, manche Körpercoaching, manche energetische Körperarbeit.

In Japan, dem Ursprungsland von Shiatsu, würde man vielleicht von einer Art manuellen Therapie sprechen. Shiatsu ist dort weit verbreitet, wird in einem Shiatsu College gelehrt und funktioniert doch ganz anders als hier in Europa.

Shiatsu ist ein weites, weites Feld. Es gibt verschiedene Schulen und Systeme und die Arbeit ist von Praktiker zu Praktiker verschieden. Eine Ausbildungen kann man an einer Shiatsu-Schule absolvieren. Schon hier wird man ermutigt, seinen persönlichen Weg mit Shiatsu zu finden.

Die Persönlichkeit ist essenziell wichtig in der Begegnung und Kommunikation von Mensch zu Mensch, sei es in der gesprächstherapeutischen Arbeit, in der Körperarbeit und auch in anderen Begegnungen und Berufen, wenn man z.B. erfolgreich Brötchen im Bäckerladen verkaufen will. Wir sind nur schnell dabei, die Sache, die Technik, das System oder die Ware in den Mittelpunkt zu rücken. Und so entstehen Definitionen.

Im Shiatsu steht die Begegnung im Mittelpunkt und somit die zwei Menschen, die sich für eine Sitzung verabredet haben. In dieser Begegnung geschehen Veränderungen, es kann losgelassen und wahrhaftig gespürt werden. So entsteht Vertrauen zum eigenen Sein und Tun, was so unglaublich wichtig ist für das persönliche Vorankommen. Schmerzen kommen und gehen, der Kopf wird leer, das Leben und das eigene Tun wird bewusster. Im Körper sinkt oder steigt die Spannung und das Wohlgefühl. Man weiß nicht, was geschehen wird. Alles ist ein Experiment, jede Begegnung und jede Berührung. So individuell wie jeder Moment in diesem Universum.

Man weiß auch nicht, was passiert, wenn man an einem x-beliebigen Tag eine alte Freundin wieder trifft und sie einem plötzlich Fragen stellt, die einen vielleicht stutzen lassen. Fragen, die Erinnerungen wecken und die auf einmal an unserem wohletablierten System rütteln. Man weiß auch nicht, was geschieht, wenn wir morgen mit dem Fahrrad hinfallen. Vielleicht liegen wir 4 Wochen im Krankenhaus und unsere Arbeit wird von einem Kollegen weitergeführt. Vielleicht bremst das unser Leben so dermaßen aus, dass danach alles anders ist und wir neue Ideen bekommen, wie es weitergehen soll. 

So weiß man auch nicht, was passiert, wenn beim Shiatsu sich Emotionen zeigen, die man vielleicht jahrelang nicht gespürt hat. Oder wenn sich die Schulter wie durch Gottes Hand berührt wieder frei und flexibel anfühlt. Der Arzt hat doch gesagt, die sei kaputt. Man weiß es nicht. Wir sind keine Maschinen und Shiatsu ist keine Apparatur, genauso wie das Leben keine Fabrik ist.

Shiatsu ist offen. Nichts wird erwartet und nichts wird gewollt. Es ist eine Begegnung in Berührung und Achtsamkeit und es gibt tausend Wege. Shiatsu hat einen umfangreichen theoretischen Überbau, doch im Mittelpunkt steht der Moment, in dem sich zwei Menschen begegnen und berühren, um zu entspannen, loszulassen und neue Möglichkeiten zu erforschen. Hier entfaltet sich unser Potential. Faszinierend und kraftvoll und mehr als empfehlenswert.